Lieber Otto, es ist interessant zu lesen, wie Du das Meer empfindest. Ich liebe das Meer auch sehr, allerdings das fühlbare wie das sichtbare.
Meerliebe Als ich das letzte Mal am Meer entlang lief, es war gerade Ebbe, musste ich an mein Leben denken, das so war wie Ebbe und Flut. So, wie diese millionen Sandkörner sich aneinander reihten, reihten sich meine Erlebnisse zusammen. In all den hellen und schönen Farben, die sich widerspiegelten in der Sonne, aber auch in den dunklen Tagen. Am Horizont lagen Schiffe und so schön sie auch aussahen in der Ferne, so wusste ich doch, dass es Fischerboote waren, die ihre Netze hinausbrachten oder wieder einholten. Die Möwen hatten sich auf den Wellenbrechern niedergelassen. Es war ein milder, schöner Herbsttag und ich verspürte darüber Dankbarkeit. An manchen Stellen lagen aber und abertausende Muschelschalen. Ich weiss, das sie leer sind und trotzdem bringe ich es nur selten fertig darauf zutreten. Ich achte meist darauf sie zu umgehen. Es ist wie eine Ehrfurcht vor dem Gegangenen. Ehrfurcht und Achtung vor der Vergänglichkeit, die vor meinen Füssen lag in ihrer Schönheit. Überall lag altes, angespültes Holz herum. Es war noch ganz nass von der letzten Flut. Und es hatte seinen eigenen Geruch. Und was da so alt und unnütz aussah, war doch in Wirklichkeit eine kleine Welt für sich. Überall im Sand war Leben. Kleine Krebschen und Muscheln, die sich eingegraben hatten, um auf das Wasser zu warten. Ich lief zu den Sandbänken durch flaches Wasser. Es war noch Zeit dazu. Noch war keine Zeit für die Flut. Schon oft war ich viel zu weit hinausgelaufen. Aber diesmal ging es nicht. Dieser Ort des Meeres, wo ich zuletzt war, liess es nicht zu. Von allen Seiten kommt dann das Wasser zurück und ich muss mich dann beeilen und zurücklaufen. Meine Blicke auf den Sandboden gerichtet, sogen die Formen der Furchen in sich ein, die das Wasser gezogen hatte. Ich vergleiche das immer mit der Wüste, nur dass diese " Sandberge" so winzig gegen die Erhebungen der Wüste sind. Der Himmel war an jenem Tag wolkenlos und ich konnte weit hinaussehen. Unendliche Blicke brachten mir das Freiheitsgefühl. Ich spürte wie ich innerlich aufatmete, wie ich glücklich war und voller Liebe über das Meer schaute. Kein Haus, welches die Blicke versperrte, kein Lärm, der störte. Nur freie Blicke und freie Gedanken. Die Wellen waren zart und schmeichelten sich an den Strand. Erst als es schon dunkel war, wurden sie unruhiger, wurden grösser und mächtiger. Schlugen ihren Lebensschaum heftiger nieder, der manchmal wegwehte. Stundenlang laufe ich, wenn ich am Meer bin den Strand entlang. Manchmal lege ich mich in den Sand oder setze mich auf einen Stein und höre die Melodien des Wassers. Es hat so viel zu erzählen, von überall her. Aus Ländern, Städten und Dörfern. Glück und Unglück, Liebe und Tod, Sehnsucht und Zärtlichkeit; danach klangen seine Lieder. Irgendwann hat die Dunkelheit den Tag verdrängt und die Schiffe sind nur noch erkennbar an ihren Lichtern. Der Leuchtturm wirft sein Licht über das Meer und ein wenig auch über den Strand. Die Vögel verstummen langsam. Nur die Wellen sind noch zu hören und der salzige Geschmack auf den Lippen zu schmecken. In den Haaren haben sich meist ein paar Sandkörner verfangen und es bricht die Nacht herein. Nirgendwo und doch irgendwo befinde ich mich in der Dunkelheit am Strand. Es ist kein Weg zurück über die Dünen mehr zu sehen. Das Meer hat nur noch Umrisse und ich laufe dann nach Gefühl weiter. Laufe an meiner Liebe vorbei und entlang. Welle, wie Welle setzen sich aneinander, formen sich. Das Meer atmet ein und aus. Holt Luft und wirft sie wieder aus, in Form der Wellen. Es ist immer Glück für mich, dass ich das erleben darf. Glück, aneinandergereiht an Wellen und Sandkörnern. Voller Liebe kehrte ich zurück durch die Dunkelheit der Dünen. 2002 Copyright by Birgit Marie Nessel <br>
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